Meine Seele musste viele Male mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl winken, und mir auch mal einen ganzen Zaun hinterherwerfen, bis ich angefangen habe, ihr zuzuhören. Manchmal muss sie das heute noch. Ich bin nicht nur dickköpfig, als Kopfmensch kann ich auch noch überaus misstrauisch sein, wenn es um die leisen Töne des Herzens geht. Aber wenn ich eines gelernt habe, dann, dass die Seele nicht lockerlässt, wenn es Zeit ist, aufzuwachen und sich dem eigenen Seelenplan zuzuwenden.
Zurück ins Jahr 2014. Ich war auf der verzweifelten Suche nach Sinn, wollte Menschen helfen, irgendeinen sinnvollen Beitrag leisten. Ich dachte, ich müsse einfach nur den Ort, das Projekt, den Beruf, das Thema oder die Beziehung im Außen finden, die Sinn und tiefe Erfüllung geben würden. Ich hatte Psychologie studiert, ich hatte wissenschaftlich zu großen Themen wie dem Klimawandel gearbeitet, oder praktisch mit Führungskräften und chronischen Schmerzpatienten. Gerade hatte ich mich wieder mal in ein neues Projekt gestürzt: Zweitstudium Medizin. So saß ich über ein Anatomie-Lehrbuch gebeugt und lernte die Funktionsweise des Herzens. Während ich las, begann ich mich zu langweilen: warum lernte ich das, das kannte ich doch alles schon? Irritiert schaltete sich eine zweite Stimme in meinem Kopf dazu: Warum solltest du das kennen, das lernst du doch zum ersten Mal? Ich vergaß das Ganze wieder. Bis zum nächsten Morgen: Zähneputzend stand ich vor dem Spiegel, als plötzlich ein Bild, eine Erinnerung nach der anderen in mein Bewusstsein knallte und ich erfuhr, warum ich mich mit dem Herzen so gut auskannte: eine Szene wie Pearl Harbour, eine der beiden Weltkriege. Ich als Krankenschwester. Ich als Ausbilderin von anderen Krankenschwestern. Ich, wie ich ein menschliches Herz hoch in die Luft hielt und den anderen die Funktionsweise erklärte. Einige Wochen später stand ich in der Anatomieprüfung und wurde – natürlich (?) – zur Funktion des Herzens befragt. Hier stand ich nun, hielt das Herz hoch, erklärte, und fühlte mich, als würden Vergangenheit und Zukunft zu diesem einen Moment verschmelzen. Das Medizinstudium brach ich übrigens wieder ab.
Dies war einer von den vielen Zaunpfählen, verpackt als bewusstseinserweiternde Erfahrung, mit der meine Seele mich wachrüttelte – und die mein Weltbild über die Jahre vollständig verändert haben. Gleichzeitig wurde der innere Druck, irgendetwas Sinnvolles zu tun, immer größer. Es war, als würde ich immer wieder einen Motor starten und ihn dann wieder abwürgen, weil ich nicht wusste, wohin ich fahren will. Doch ich betäubte das Gefühl wieder, in einem neuen Projekt im Außen oder sonstigen Ablenkungen – nur eins tat ich lange nicht: meiner Seele zuhören.
Dann begegnete ich einem Seelenpartner, eine Begegnung, die mich eine tiefe echte Liebe fühlen ließ. Aber auch hier kam irgendwann der tiefe Schmerz eines Funkens, der nicht gelebt, sondern abgewürgt wurde. Ich fühlte mich, als würden alle Versuche, mein Innerstes auszudrücken, raus in die Freiheit zu treten, vor verschlossenen Türen enden. Und so wurde ich endgültig in einen Aufwachprozess katapultiert.
Heute begreife ich, dass die Türen sich schließen mussten. Denn diese verschlossenen Türen halfen mir, zu begreifen, dass das, was ich suchte eine Freiheit war, die von innen kommt und von nichts und niemandem im Außen abhängig ist. Eine Freiheit, die daher kommt, dass man sich selbst kennt, mit der eigenen Seelenessenz verbunden ist, und so die Freiheit des Bewusstseins erkennt. Und diesen Weg in die Freiheit gehen wir leider oft erst dann, wenn alle Türen im Außen zufallen.
Heute finde ich tiefe Erfüllung darin, Brücken für andere zu bauen, damit viel mehr Menschen das unendliche Freiheitsgefühl, die Neugier und die Begeisterung erfahren können bei der Erkenntnis, dass da so viel mehr ist, was ihr Wesen ausmacht, und dass ihr offenes Herz und erweitertes Bewusstsein der Schlüssel zur echten tiefen inneren Erfüllung sind. Und das nicht erst, wenn ihnen ein ganzer Zaun hinterhergeschmissen wird.
