Mai 10

Tappst du auch (noch) in die Optimierungsfalle?

Tappst du auch (noch) in die Optimierungsfalle?

Aufstellungsarbeit, Bewusstseinsarbeit, Trancereisen | 10. Mai 2024

  • Glaubst du, dass du nur Balance und Harmonie in dein Leben bringen musst und dann wird alles gut?
  • Hast du schon dutzende Seminare, Self-help books, Online-Kurse oder Beratungseinheiten gebucht oder dir das Hirn zermartert, was du noch optimieren kannst, damit endlich alles super läuft?
  • Beglückwünschst du dich zur Erkenntnis, dass du die Verantwortung für dein Leben trägst und der Schlüssel zur Veränderung in dir liegt?
  • Das heißt, du wünschst dir ein friedliches, erfülltes glückliches Leben, und wenn der Status quo für dich gerade eher nach dem Gegenteil aussieht, dann muss es doch irgendwas in dir geben, was du identifizieren und verändern musst, damit dein Leben friedvoller und glücklicher aussieht?

Dann ist dieser Artikel für dich. Es gibt nämlich so ein Phänomen, das mir immer wieder begegnet – bei mir selbst, bei Klienten oder in meinem Umfeld. Und das ist diese ewige Suche nach dem Schlüssel, der mir hilft, mich oder mein Leben zu verbessern. Nicht, dass etwas falsch wäre daran, etwas verbessern, optimieren zu wollen, vielleicht eine schlechte Angewohnheit ablegen, besser mit dem Partner kommunizieren, oder sich gesünder ernähren zu wollen. Gerade ein spiritueller Weg lädt dazu ein, sich selbst kennenlernen und auch die eigenen Angewohnheiten und Verhaltensweisen hinterfragen zu wollen. Aber was, wenn das Ganze zu einer verbissenen Suche nach Fehlern und Defiziten mutiert, die „ausgemerzt“ werden müssen - bei sich und bei anderen? Ich nenne das die „Optimierungsfalle“.

Die Optimierungsfalle in der Spiritualität

Im Bereich Spiritualität kann die Optimierungsfalle z.B. so aussehen:

  • Ich versuche immer und überall positiv zu denken – und brenne innerlich aus, da ich ignoriere, wie es mir wirklich geht
  • Wenn mir ein Beratungsgespräch, ein Buch oder Social Media Post einen Aha-Moment beschert hat, ich z.B. eine mögliche Ursache für ein persönliches Problem erkennen durfte, beginnt mein Ego damit, munter tiefer zu graben und die Ursache der Ursache identifizieren zu wollen, frei nach dem Motto: „Das kann doch nicht so einfach sein!“ Wenn ich zum Beispiel erkannt habe, dass eine mir nahe stehende Person, mit der ich immer wieder Konflikte habe, narzisstische Züge hat, kommt das Ego und fragt: „Ja, aber warum ist sie so?“ „Warum hab ich diese Person in mein Leben gelassen?“ „Was stimmt mit mir nicht, dass ich solche Menschen in mein Leben lasse?“ „Was stimmt mit mir nicht, dass ich mich da nicht behaupten kann?“ „Vielleicht bin ich ja das Problem?“ usw. usw. Lieblingsfrage des Egos nach einer neuen Erkenntnis, egal ob es um Narzissmus geht oder nicht, ist meist: „Ja, aber warum?“ Das ist übrigens eine grandiose Taktik, um sich in einer Endlos-Schleife des scheinbaren Verstehen-Wollens festzuhalten, um nichts verändern, nicht handeln zu müssen (ich nenne das die Nebelkerzen-Taktik des Egos).
  • „Ich muss mich gegen diese ganze Negativität da draußen abschirmen.“ – da bleibt dann möglicherweise am Ende nicht mehr viel übrig, was ich noch in mein Leben lassen kann
  • Ich mache mich oder andere dafür fertig, wenn ich - oder der andere - nicht so liebevoll, mitfühlend oder „spirituell reif“ reagieren konnte wie ich es gern hätte – und werde so endgültig zum Gegenteil von mitfühlend oder reif, da ich Härte auf Härte schütte, also versuche, Gleiches mit Gleichem zu bekämpfen.
  • Ich gebe jedem, der mir nicht in den Kram passt, das Label „toxisch“, dann muss ich mich nicht mehr damit auseinandersetzen und fühle mich besser – verhindert aber, dass ich in der Auseinandersetzung mit einer schwierigen Situation tatsächlich wachse

Das soll auf keinen Fall bedeuten, dass wir nicht manchmal Grenzen setzen müssen oder dass es da draußen nicht einen Haufen Toxizität und Negativität gibt, und es soll auch nicht heißen, dass wir das aushalten oder uns alles gefallen lassen müssen – so frei nach dem Motto „halte einfach die andere Wange hin“! Aber nur noch Reinheit und Perfektion in uns, in unserem Leben und unseren Mitmenschen um uns herum haben wollen - das hat ganz sicher nichts mehr mit einem spirituellen Weg zu tun.

Wie ein Ideal zur Falle werden kann

Ich habe letztens von der Geschichte von Carl Rogers und seiner Borderline-Patientin gelesen, die eigentlich ein schönes Beispiel für die Optimierungsfalle ist: Carl Rogers war einer der großen Psychologen, die die heutige Psychotherapie entscheidend mitgeprägt haben – heute vor allem bekannt für sein Konzept der „bedingungslosen positiven Wertschätzung“ (unconditional positive regard), mit der er all seinen Patienten begegnen wollte. Das klingt für die meisten erstmal nach einer tollen erstrebenswerten Sache, und ich war auch schon immer ein großer Fan dieses Konzepts – von jemandem bedingungslos akzeptiert und wertgeschätzt zu werden, das erleben die meisten von uns normalerweise nur selten.

Aber wahrscheinlich liegt es in der Natur der Sache, wenn wir mit einem Ideal losrennen, dass uns unweigerlich irgendwann ein Spiegel vorgehalten wird, das dieses Ideal herausfordern wird, fast wie eine Art kosmischer Test, der uns fragen soll: „Na, wie ernst meinst du es denn wirklich mit deinem Ideal?“ Carl Rogers also hatte eine Patientin, die ihn an den Rand eines Nervenzusammenbruchs trieb. Sie forderte eben genau diese bedingungslose Wertschätzung und wurde selbst feindselig, wenn er ihr nur etwas weniger als die volle Akzeptanz und Wertschätzung gegenüber brachte. Unter anderem war sie wohl auch der Meinung, dass 2-3 Sitzungen die Woche nicht ausreichten, so dass sie sich morgens regelmäßig vor seine Haustür setzte. Letztendlich musste Rogers mit seiner Frau für einige Monate aus der Stadt verschwinden, um bei Verstand zu bleiben.

Natürlich stellt das sein Konzept nicht grundsätzlich in Frage – genauso, wie es eben nicht falsch ist, etwas verbessern oder ein Ideal erreichen zu wollen. Empathie und Akzeptanz sind heute dank Rogers wichtige Grundpfeiler humanistischer Psychotherapien. Wo aber bleibt in diesem Fall die bedingungsglose positive Wertschätzung sich selbst gegenüber?

Vertrauen ist gut…Kontrolle ist besser?

Die Optimierungsfalle ist die Falle, in die wir tappen, wenn wir meinen, alles kontrollieren zu müssen oder gar zu können. Vielleicht haben wir schon herausgefunden, dass wir im Außen gar nicht so viel kontrollieren können – die Meinung oder das Verhalten anderer Menschen oder ob sich unser Kind heute auf dem Spielplatz das Knie aufschlägt oder nicht. Aber dann können wir in die nächste Falle tappen – den Versuch, jetzt halt im Innern, also bei uns selbst, „aufzuräumen“ und hier alles kontrollieren zu wollen.

Der Clou ist, dass wir meist früher oder später die Erfahrung machen dürfen: Innere Veränderung und Wachstum haben wir – also unser Ego, unser Verstand - eben NICHT unter Kontrolle. Das hören die meisten tatsächlich nicht so gern. Wir leben in einer Ära der Selbstoptimierung, überall kannst du die Coaches, Berater und Self-help Gurus finden, - und auch gerne mal die spirituellen Lehrer -. die dir erzählen, was du alles im Innern verändern musst, um Glückseligkeit zu erlangen, endlich happy sein zu dürfen.

Renne ich vor mir selbst davon oder doch lieber ins Potenzial?

Das Problem ist oft nur, dass an der Wurzel doch einfach wieder dieser ganz ganz tiefe Glaubenssatz steckt, dass wir nicht genügen, so wie wir sind, dass wir nur noch xyz ändern müssen, damit endlich alles perfekt ist. Oder wir zermartern uns das Hirn, was wir denn nun genau ändern müssen, damit endlich alles perfekt ist.

Und noch einmal – es ist nichts Schlimmes daran, etwas – sich selbst – verbessern zu wollen. Jetzt kommt das große ABER: was ist die Intention dahinter, was steckt hinter diesem Wunsch? Ist er angstgetrieben, getrieben von der Sorge, nicht zu genügen? Und von der Sorge, was das dann wiederum bedeuten würde? Zum Beispiel, dass wir von unseren Mitmenschen zurückgewiesen, aus Gruppen ausgeschlossen werden, nicht mehr dazugehören, wenn wir nicht genügen? Da steckt also eine Angst dahinter, die den Wunsch nach Optimierung anfeuert.

Oder ist er vielleicht geprägt von dem Wunsch, ins eigene Potenzial zu kommen, vielleicht dadurch mehr bewirken zu können? In der Psychologie nennt man diesen Motivationsunterschied den „Regulatory focus“, den Fokus, aus dem heraus wir denken, fühlen und handeln: mit dem Präventions-Fokus wollen wir etwas Schlimmes verhindern, er ist eher angstgetrieben, mit dem Promotions-Fokus möchten wir etwas Schönes erreichen. Wir können dasselbe tun, aber aus einem unterschiedlichen Antrieb heraus. Und das kann einen gewaltigen Unterschied machen.

Natürlich ist auch das nur ein Zwischenschritt, denn im Zustand der Erleuchtung, so erzählen es die Gurus seit Jahrhunderten, wollen und müssen wir eigentlich gar nichts mehr erreichen. Aber wir reden ja von uns und Otto und Erika von Nebenan, nicht von Sri Ramana Maharshi, Amanda Mayi Ma oder dem Dalai Lama. Uns reicht vielleicht erstmal der Promotions-Fokus: wir müssen uns nicht innerlich für unsere wahrgenommenen Defizite fertigmachen und die Spiritualität einfach als neue Optimierungsfalle missbrauchen, sondern wir dürfen das ganz normale Chaos des Menschseins – und damit uns selbst – liebevoll umarmen, und trotzdem Veränderung wollen.

Das gilt genauso im Außen wie im Innen: Auch im Außen wird nie alles so perfekt sein, wie wir es gern hätten, die Wohnung nicht so aufgeräumt, die To Do Liste nicht abgearbeitet, nicht so viel quality time mit der Freundin oder den Kindern verbracht wie wir es gern hätten. In der Spiritualität geht es gar nicht um Optimierung. Sondern um ein Erinnern an all das, was wir schon längst sind, um ein Druck rausnehmen, statt Druck aufbauen.

Das Paradox des Loslassens

Und paradoxerweise passiert es dann oft genau in diesen Momenten, dass alle Puzzleteile an ihren Platz fallen: wenn wir loslassen, alle Fünfe grade sein lassen, die Kontrolle abgeben, z.B. tatsächlich sowas wie unconditional positive regard für jemanden empfinden, passiert dann für ein paar Minuten ein kleines Wunder: es fühlt sich nämlich gerade alles einfach perfekt an. Und wir reiben uns für einen Moment die Augen, schauen uns verwundert um wie kleine Kinder, die gerade aus einem Alptraum erwacht sind, und fragen uns, was da gerade passiert ist. Und in dem Moment in dem wir beginnen uns zu fragen, wie wir den Moment festhalten, kontrollieren können, kehrt das Chaos wieder zurück.

Wie kommen wir also raus aus der Optimierungsfalle und – willkommen, liebes Paradox! – können vielleicht trotzdem die Veränderungen bewirken, die wir gerne hätten, wirklich etwas verbessern in unserem Leben und dem Leben anderer? Mit Ego-Kontrolle funktioniert es ja nicht, die müssen wir abgeben. Aber wohin? Wir verfrachten unser Ego auf den Beifahrersitz und lassen unser erweitertes Bewusstsein, unsere tiefere Weisheit, du kannst es auch Seele nennen, ans Steuer. Jede Form von Bewusstseinsarbeit oder bewusstseinsveränderndem Ritual ist hier geeignet, egal ob es dabei um Trancereisen, Aufstellungsarbeit oder eine andere spirituelle Praxis geht. Das ist dann dein ganz persönlicher Weg, die Abenteuerreise, auf die du dich begeben kannst. Na Gott sei Dank – dann können wir ja doch etwas tun.

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  1. Ein sehr schöner Beitrag! In die eine oder andere Falle bin ich definitiv schon getappt. Vor allem das ewige Suchen nach dem Warum oder das Umgehen einer Auseinandersetzung mit einer schwierigen Situation.

    1. Liebe Steffi, ohja, nicht wahr? Bei der Suche nach dem Warum sind wir alle echt Weltmeister – so ein ganz klein bisschen macht das manchmal ja auch Spaß 😉

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